Warum Orchestrierung für KI-gestützte Entwicklung immer wichtiger wird
KI-Tools haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Claude, GPT-4, und andere Modelle können beeindruckenden Code generieren – aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
Das Problem:
- Komplexe Projekte überfordern einzelne KI-Instanzen
- Aufgaben fragmentieren sich über verschiedene Kontexte
- Konsistenz leidet, wenn zu viele Entscheidungen gleichzeitig getroffen werden müssen
- Der Überblick geht verloren
Die Realität ist: KI erzeugt hochwertigen Code, aber nur, solange der Überblick gewahrt bleibt.
Die Antwort darauf ist ein orchestrierter Workflow, der KI-Agents wie ein Team aus Spezialisten führt – jeder mit klarer Rolle, klarem Auftrag und klarer Zuständigkeit.
Dieser Artikel baut auf Teil 1 auf und geht einen Schritt weiter: Während Teil 1 sequentielle Agent-Workflows mit heute verfügbaren Tools (Cursor, Claude CLI) beschreibt, zeigt dieser Teil fortgeschrittene Orchestrierung mit parallelen Agents und automatisierter Koordination – teilweise bereits in spezialisierten Plattformen verfügbar, teilweise noch Zukunftsmusik.
Das Grundprinzip: KI-Systeme wie ein Entwicklerteam organisieren
Statt “eine große KI macht alles” wird das Projekt in Rollen und Zuständigkeiten zerlegt.
Typische Rollen in einem orchestrierten System:
- Architektur-Agent (Planer): Plant die Gesamtstruktur, definiert Schnittstellen
- Backend-Agent (Dev): Implementiert Server-Logik, APIs, Datenbanken
- Frontend-Agent (Dev): Erstellt UI-Komponenten, Layouts, Interaktionen
- Testing-Agent (QA): Schreibt Tests, validiert Code-Qualität
- Integration-Agent: Fügt Module zusammen, prüft Kompatibilität
- Review-Agent: Analysiert Code auf Konsistenz und Best Practices
Hinweis: Diese technischen Rollen ergänzen die agilen Rollen aus Teil 1 (PM, Dev, Review). In orchestrierten Systemen können beide Ebenen kombiniert werden – z.B. ein Planer-Agent, der Tasks an spezialisierte Backend- und Frontend-Agents verteilt.
Der Workflow sorgt dafür, dass jede Rolle isoliert arbeitet, aber die Ergebnisse sauber zusammengeführt werden.
Das Resultat: Weniger Kontext-Chaos, mehr Fokus, bessere Ergebnisse.
Der Workflow: So funktioniert orchestriertes Arbeiten mit Agents
Schritt 1: Die zentrale Steuerstelle definieren
Ein zentraler Agent oder Prozess übernimmt die Planung.
Er legt fest:
- Ziele und Anforderungen
- Teilaufgaben und ihre Abhängigkeiten
- Reihenfolge der Umsetzung
- Schnittstellen zwischen Modulen
Wichtig: Er selbst erzeugt keinen Code. Er bleibt konstant auf architektonischer Ebene und fungiert als Koordinator.
Zentraler Agent:
├─ Definiert: "Wir bauen ein Authentifizierungs-System"
├─ Legt fest: "Backend: API-Endpunkte, Frontend: Login-UI, Testing: E2E-Tests"
└─ Verteilt Aufgaben an spezialisierte Agents
Schritt 2: Aufgaben in klare Work Units zerlegen
Jede Aufgabe ist kompakt, verständlich und unabhängig.
Fokus:
- Klarer Input → Klarer Output
- Minimale Überschneidung zwischen Tasks
- Keine impliziten Annahmen
Beispiel:
❌ Schlecht: "Baue die Login-Funktion"
✅ Gut: "Implementiere POST /auth/login mit Email/Passwort-Validierung"
Die zweite Formulierung ist präzise genug, dass ein spezialisierter Agent sie umsetzen kann, ohne den gesamten Kontext zu benötigen.
Schritt 3: Mit spezialisierten Agents arbeiten
Agents arbeiten rollenbasiert statt “allgemein”.
Vorteil:
- Weniger Kontext nötig
- Weniger Drift (Abweichung vom Ziel)
- Bessere Resultate durch Spezialisierung
Beispiele für typische Spezialisierungen:
- API-Entwicklung: Kennt REST-Patterns, Validierung, Error-Handling
- UI-Komponenten: Fokus auf Accessibility, Responsiveness, User Experience
- Geschäftslogik: Versteht Domain-Logik, Business-Rules
- Testfälle: Schreibt Unit-Tests, Integration-Tests, E2E-Tests
- Integrationspunkte: Verbindet Module, prüft Type-Safety
Jeder Agent bleibt in seiner Lane – das vermeidet Überschneidungen und Konflikte.
Schritt 4: Ergebnisse konsistent validieren
Nach jeder Runde wird geprüft:
- ✅ Stimmen die Interfaces?
- ✅ Passen die Typen zusammen?
- ✅ Sind Module kompatibel?
- ✅ Gibt es Konflikte in Abhängigkeiten?
Dadurch arbeiten mehrere Agents parallel, ohne sich gegenseitig zu sabotieren.
Wichtig: Bei manueller Orchestrierung (wie in Teil 1 mit Cursor/Claude CLI) arbeiten Agents nacheinander und der Mensch übernimmt die Validierung. Bei automatisierten Orchestrierungs-Plattformen können Agents parallel arbeiten, während ein Integration-Agent Konflikte erkennt und auflöst:
// Integration-Check nach jeder Wave
const validationResult = {
typeConsistency: checkTypeCompatibility(),
interfaceMatching: validateInterfaces(),
dependencyConflicts: analyzeDependencies(),
};
if (!validationResult.isValid) {
// Konflikte zurück an betroffene Agents
notifyAgentsForFixes(validationResult.issues);
}
Schritt 5: In Wellen vorgehen statt alles auf einmal
Der Workflow läuft in Wellen (“Waves”):
- Wave 1: Kernfunktionen – Die wichtigsten Features zuerst
- Wave 2: Integration – Module zusammenführen, Schnittstellen testen
- Wave 3: Randfälle – Edge Cases, Error Handling, Validierung
- Wave 4: Optimierung – Performance, Refactoring, Cleanup
Jede Wave beginnt mit einer kurzen Übersicht.
Vor der nächsten Wave wird der Kontext bereinigt:
- Zusammenfassungen statt langer Historien
- Nur relevante Entscheidungen bleiben sichtbar
- Details werden archiviert
Das verhindert Context-Overflow – ein häufiges Problem bei langen KI-Sessions.
Schritt 6: Kontextmanagement ernst nehmen
Einfache Faustregel:
- Architektur bleibt oben – zentrale Entscheidungen sind immer sichtbar
- Entscheidungen bleiben sichtbar – wichtige Choices werden dokumentiert
- Details werden zusammengefasst – Implementierungsdetails verschwinden nach Abschluss
Agents erhalten nur das Nötigste – nicht alles.
Frontend-Agent bekommt:
✅ API-Schema
✅ Datentypen
✅ UI-Requirements
❌ Backend-Implementierung
❌ Datenbank-Schema
❌ Deployment-Config
Das reduziert Token-Kosten, verbessert Fokus und verhindert Halluzinationen.
Unterschied zum manuellen Ansatz: Bei Tools wie Cursor (Teil 1) erfolgt Kontextmanagement durch getrennte Chats/Sessions. Bei automatisierten Plattformen übernimmt ein Orchestrierungs-Layer die Kontext-Verteilung an die einzelnen Agents.
Was heute schon existiert: KI-Entwicklungswerkzeuge mit Orchestrierungs-Ansätzen
Mehrere Tools und Plattformen bewegen sich bereits in Richtung Multi-Agent-Orchestrierung – wenn auch in unterschiedlichem Reifegrad.
1. Anthropic Claude Code Agents
Status: Früheste Form von Orchestrierung
Features:
- Datei- und Projektverständnis in größeren Codebases
- Isolierung von Tasks
- Rollen-ähnliche Aufgabentrennung
Stärken:
- Sehr gutes Architektur-Verständnis
- Kann große Projekte überblicken
- Gute Trennung zwischen Planung und Umsetzung
Schwächen:
- Kein vollständiges Multi-Agent-System out-of-the-box
- Noch keine parallelen Agents mit klar definierten Rollen
Fazit: Claude ist hervorragend für komplexe Einzelaufgaben, aber echte Multi-Agent-Orchestrierung muss manuell aufgesetzt werden.
2. OpenAI Developer Tools (GPT-4.1, o1, o3)
Status: Erste Umgebungen mit Reasoning-Modellen
Features:
- Modelle mit “Reasoning”-Fähigkeiten (o1, o3)
- Tools, die mehrere Schritte ausführen können
- “Tasks” und automatisierte Ausführung
Vielversprechend:
- Deutliche Trennung zwischen Planen und Ausführen
- Modelle führen Schritte nacheinander aus statt alles in einem Prompt
- Besseres Multi-Step-Reasoning
Noch nicht:
- Echte parallele Agents
- Rollenbasierte Spezialisierung
- Workflow-Orchestrierung
Fazit: Die Reasoning-Modelle sind ein wichtiger Schritt, aber noch keine vollständige Orchestrierungs-Lösung.
3. Devin (Cognition Labs)
Status: Positioniert als “AI Software Engineer”
Features:
- Projekte verstehen und analysieren
- To-do-Listen erzeugen
- Schritte einzeln abarbeiten
- Entwicklungsumgebungen bedienen (Terminal, Editor, Browser)
Stärken:
- Kann vollständige Features eigenständig implementieren
- Gute Integration in reale Entwicklungsumgebungen
- Versteht komplexe Workflows
Schwächen:
- Stark auf sequentielles Vorgehen ausgelegt
- Noch keine klar definierte Multi-Agent-Rolle-pro-Aufgabe-Struktur
- Wenig Transparenz über interne Architektur
Fazit: Devin ist eines der ersten Systeme, die in Richtung vollautomatisierte KI-Entwicklung gehen – aber noch kein echtes Multi-Agent-System.
4. AutoGen (Microsoft / Open Source)
Status: Echte Multi-Agent-Plattform
Features:
- Agents können verschiedene Rollen bekommen:
- Planer
- Kritiker
- Implementierer
- Tester
- Kann komplexe Agentenketten aufbauen
- Parallele Interaktionen möglich
Stärken:
- Echte Multi-Agent-Architektur
- Flexible Rollendefinitionen
- Open Source und erweiterbar
Main Use Case:
- Forschung
- Prototypen
- KI-Agent Research
Schwächen:
- Noch nicht produktionsreif für große Codebases
- Komplex im Setup
- Wenig vorgefertigte Workflows für Software-Entwicklung
Fazit: AutoGen ist technisch am nächsten an echter Orchestrierung – aber noch zu experimentell für Production Use.
5. Meta’s LLaMA-basierte Agent-Frameworks
Status: Multi-Agent-Kommunikation für Wissensaufgaben
Features:
- Planen, Ausführen, Reflektieren
- Gute Integration in reproduzierbare Workflows
- Starke Performance bei großen Sprachmodellen
Stärken:
- Open Source
- Gute Performance
- Flexible Architektur
Problem:
- Weniger optimiert für Softwareentwicklung
- Eher für Wissensaufgaben, Recherche, Analysen
Fazit: Interessant für Research, aber nicht direkt auf Code-Generierung ausgelegt.
6. Emerging: ReAct, SWE-agent, DevOps-Agents
Status: Forschungsprojekte und frühe Prototypen
Konzepte:
- Agents, die schreiben
- Agents, die reviewen
- Agents, die testen
- Agents, die deployen
Realität:
- Aktuell hypebehaftet
- Technisch noch fragil
- Viele Proof-of-Concepts, wenige produktionsreife Lösungen
Trotzdem: Wichtige Bausteine für zukünftige echte Orchestrierung.
Wohin es sich entwickelt: Warum orchestrierte Systeme die nächste Evolutionsstufe sind
Die Entwicklung geht klar in Richtung KI-DevOps – einem System, in dem:
- Architekturen stabil bleiben, während KI selbstständig Code generiert
- Entwickler zu Moderatoren werden, nicht Befehlsschreibern
- Rollen automatisch erstellt werden, basierend auf Projekt-Anforderungen
- Kontext intelligent zusammengefasst wird, ohne wichtige Infos zu verlieren
- Konflikte selbst gelöst werden, durch spezialisierte Agents
- Projekte über Wochen stabil bleiben, ohne manuelles Re-Prompting
Zukünftige Tools werden können:
1. Automatische Rollenverteilung
System analysiert Projekt:
→ "Das ist ein Full-Stack E-Commerce-Projekt"
→ Erstellt automatisch:
- API-Agent (Express.js)
- Frontend-Agent (React)
- Payment-Agent (Stripe)
- Testing-Agent (Jest, Playwright)
2. Intelligente Kontext-Kompression
Nach jeder Wave:
→ Details werden zusammengefasst
→ Nur Architektur-Entscheidungen bleiben sichtbar
→ Neue Agents bekommen kompakte Briefings
3. Selbstheilende Workflows
Integration-Agent findet Konflikt:
→ Identifiziert betroffene Module
→ Benachrichtigt zuständige Agents
→ Agents fixen das Problem autonom
4. Langfristige Projekt-Stabilität
Projekt läuft über Wochen:
→ Architektur bleibt konsistent
→ Neue Features passen ins bestehende System
→ Keine manuellen Re-Prompts nötig
Der entscheidende Trend
KI arbeitet nicht mehr “in einem Kopf”, sondern in Teams aus KI-Spezialisten, die koordiniert zusammenarbeiten.
Das ist keine Science-Fiction – die Bausteine existieren bereits. Es geht jetzt darum, sie richtig zu kombinieren.
Orchestrierung ist die Zukunft der KI-gestützten Entwicklung
Heute: Einzelne KI-Tools sind beeindruckend, aber limitiert.
Morgen: Orchestrierte Multi-Agent-Systeme arbeiten wie ein Entwicklerteam – spezialisiert, koordiniert, konsistent.
Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Spezialisierung schlägt Generalisierung – Fokussierte Agents liefern bessere Ergebnisse
- Kontextmanagement ist entscheidend – Weniger Kontext = Bessere Performance
- Validierung verhindert Chaos – Integration-Checks nach jeder Wave
- Wellen-basiertes Vorgehen – Inkrementell statt alles auf einmal
- Zentrale Koordination – Ein Planer hält das große Bild zusammen
Bestehende Tools zeigen den Weg:
- Claude: Exzellentes Architektur-Verständnis
- OpenAI Reasoning-Modelle: Besseres Multi-Step-Reasoning
- Devin: Vollautomatisierte Feature-Entwicklung
- AutoGen: Echte Multi-Agent-Plattform
Was fehlt noch:
- Produktionsreife Orchestrierungs-Plattformen
- Standardisierte Workflows für Software-Entwicklung
- Bessere Tools für Konfliktlösung zwischen Agents
Aber der Trend ist klar: Die Zukunft gehört orchestrierten KI-Teams, nicht einzelnen Super-Agents.
Die kontroverse Konsequenz: Verlust der Code-Hoheit
Der Entwickler gibt zunehmend die Kontrolle über den Code ab.
Früher waren es proprietäre Bibliotheken und Frameworks – Black Boxes, deren Quellcode man nicht kannte oder verstand. Man nutzte sie trotzdem, weil der Aufwand, alles selbst zu bauen, zu hoch war. Der Trade-off: Effizienz gegen Transparenz.
Heute entsteht ein ähnlicher Zugzwang – nur schneller und radikaler.
KI erzeugt Code in Geschwindigkeit und Menge, die menschlich nicht mehr erreichbar ist. Was früher Tage oder Wochen dauerte, erledigen Agents in Stunden. Aber: Wer den Code nicht mehr selbst schreibt, versteht ihn auch nicht mehr vollständig.
Die Parallele ist offensichtlich:
- Früher: Man setzte auf fertige Bibliotheken, ohne den Quellcode zu kennen
- Heute: Man setzt auf KI-generierte Komponenten, ohne jeden Aspekt nachvollziehen zu können
Der Unterschied: Die Geschwindigkeit der Veränderung.
Während proprietäre Bibliotheken über Jahre stabil blieben, erzeugen Agents kontinuierlich neuen Code. Die Codebasis wächst schneller, als ein einzelner Entwickler sie überblicken kann.
Das Resultat:
- Code wird zur quantitativen Ressource statt zur handwerklichen Leistung
- Entwickler werden zu Kuratoren und Architekten, nicht mehr zu primären Code-Autoren
- Die Fähigkeit, Code zu orchestrieren, ersetzt die Fähigkeit, ihn Zeile für Zeile zu schreiben
Die unbequeme Wahrheit: Dieser Prozess ist nicht aufzuhalten. Wer versucht, jeden generierten Code vollständig zu verstehen, verliert den Anschluss. Wer blind vertraut, verliert die Kontrolle.
Die neue Kernkompetenz wird sein: Zu wissen, wo man verstehen muss – und wo man vertrauen kann.